Digitale Pseudo-Orte - Das (neue) globale Dorf
MARKUS OBERNDORFER
Marshall McLuhan prägte in den 1960er Jahren den Begriff des „Globalen Dorfs", um damit unter anderem die tiefgreifenden Auswirkungen elektronischer Medien auf Kommunikationsstrukturen zu beschreiben. Für ihn bedeutete der mediale Wandel nicht nur die Grenzenlosigkeit und Beschleunigung des Informationsflusses, sondern auch eine Transformation gesellschaftlicher Erfahrungsräume — und damit auch das Entstehen einer neuen Form kollektiver Wahrnehmung.
Im Zeitalter von 3D, CGI und nicht zuletzt Künstlicher Intelligenz erfährt das globale Dorf McLuhans einen radikalen Umbau, eine Weiterentwicklung: Der Informationsfluss ist nicht mehr nur grenzenlos und beschleunigt, sondern hyperpersonalisiert, algorithmisch gefiltert und zunehmend maschinell generiert. Während sich 3D modellierte oder KI-generierte Bilder aufgrund fehlender Referenten einer zumindest ortsspezifischen Definition von Heterotopie im Foucault'schen Sinne entziehen, eröffnen sie zugleich neue, mediale Möglichkeitsräume kulturell geprägter Imagination.
Als algorithmisch erzeugte Narrative des Digitalzeitalters lassen sich simulierte Räume so im Sinne Barthes' als „Mythen des Alltags' verstehen: als Oberflächen, die trotz ontologischer Leere assoziativ abrufbare und kulturell codierte Bedeutungen transportieren — und affektiv wirksam sind.
Am Beispiel der im virtuell navigierbaren Raum miteinander verwobenen „Orte", Objekte und Darstellungen — von 3D-gescannten Relikten des Atlantikwalls auf Cap Ferret, über KI-generierte, bunkerähnliche Strukturen, bis hin zu den Polygon-Netzen, die als Basis der in „Palm Trees Are Noise" mithilfe von KI zum Leben erweckten Palmen fungieren, oder einer Raumzeit Collage des Sunset Strips — wird deutlich, wie neue „Wirklichkeiten" algorithmisch erzeugt und fluide konfiguriert werden — gesteuert von Interface-Logiken und Nutzerinteraktion.
In der virtuellen Welt auf Plakaten (Stichwort: Sunset Strip) zugängliche Ausschnitte eines Zeitzeugeninterviews, in dem der damals zum Bau der Bunker verpflichtete Franzose Henri Lavrillat über deren Bau und Zerfall spricht, (mit denen Oberndorfer sich seit 20 Jahren auseinandersetzt,) verstärken das Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Erlebtem in Kommunikation mit digitaler Pseudo-Repräsentation eindrucksvoll.
Die brennende Frage, was in Zukunft in Hinblick auf Geschichte und Gedächtnis als „Erfahrung" — und in weiterer Folge „Erinnerung" — gelten kann, lässt sich heute nicht mehr losgelöst von den technischen und ästhetischen Bedingungen ihrer medialen Hervorbringung diskutieren. Genau darum geht es Oberndorfer.
Wo McLuhan einst feststellte, dass „das Medium die Botschaft" — und (wegen eines Druckfehlers) zugleich die „Massage" — sei, müssen wir heute, im Kontext des neuen globalen Dorfs in dem wir uns tagtäglich befinden, ergänzen: Das Medium bleibt die Botschaft — und auch die Massage. Doch die Botschaft selbst ist heute ein zunehmend körperloses Echo: raumzeitlich entkoppelt vom Rhythmus leiblicher Erfahrung. Und dennoch bleibt sie affektiv wirksam. In der Verflechtung von Realem, Symbolischem und Simuliertem öffnet sich ein Schwellenraum in dem die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, Erinnerung und Simulation, Erfahrung und Projektion zunehmend verwischen.
Vgl. dazu auch meinen Langtext „Palm Trees Are Noise" im Speziellen „/Remember? The trace and its detachment from the referent", in dem ich diese Problematik ausführlich diskutiere.
Popkulturell tradierte Orte wie der Sunset Strip — mit dem sich Oberndorfer seit mehr als 10 Jahren multimedial auseinandersetzt — existieren heute als gelebter Raum ebenso wie als fotografische Dokumentation (etwa bei Ed Ruscha), als 360°-VR-Videoerfahrung (Oberndorfer) oder als 3D-Computerspielumgebung (GTA V, Oberndorfer, Eclipse Blvd). Dadurch werden sie Teil eines erweiterten, multimedial vermittelten Erinnerungsraums.
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